Naturfasern

Ich habe noch Bohnen gebaut, Mohn gebaut, Erbsen gebaut, Erdäpfel gebaut, Gerste gebaut, Weizen gebaut, Roggen gebaut, Hafer gebaut, Flachs gebaut, Hanf gebaut. Bis Ende der 1960er Jahre habe ich alles selbst gebaut und nur etwas Salz und Zucker zugekauft. Auf einmal wuchs Weizen nicht mehr, und dann natürlich, mit dem Wirtschaftsaufschwung, hat das Bauen aufgehört. (...) Man hat angefangen Vieh zu füttern, nur noch zu mähen. Dann wurden der Pflug, die Sichel, das Spinnrad, die Brechel, die Riffel, die Hachel – das wurden Museumsgegenstände. Sie liegen heute noch griffbereit, aber viele wissen nicht mehr, wofür man sie verwendet hat.
Mit diesen Erinnerungen fasste Ernst Lanser vlg. Krakofl (1926-2019) im Alter von 90 Jahren seinen Lebensrückblick prägnant zusammen. In der Schilderung des geistreichen Lahnberger Bauern ist der kulturelle und wirtschaftliche Wandel angedeutet, der sich binnen neun Jahrzehnten eines Menschenlebens vollzogen hat. Zu dessen Beginn musste noch alles, was man zum Leben brauchte, zum Essen oder Anziehen, erst einmal wachsen und gedeihen und selbst hart erarbeitet werden. Rock und Hosen waren aus Loden, das Hemd aus Leinen, Kappe, Strümpfe und Handschuhe hat man gestrickt. 

 Wolle aus eigener Schafhaltung und heimischer Flachs, in der Mundart Hoor genannt, bildeten die textilen Grundstoffe. Anstrengend und zeitraubend war einst selbst die Schafschur, wozu nur einfache Schafscheren dienten. Daran knüpften sich unzählige Arbeitsschritte, angefangen von der Reinigung über das Kardieren bis hin zum Spinnen, um den Rohstoff dann für die Herstellung von Strick- oder Wirkwaren verwenden zu können. Eine denkmalgeschützte Lodenstampfe im Ort, die Letzte ihrer Art in Tirol, erinnert an die Bedeutung des Rohstoffes in alter Zeit; und der heimische Schafwollverarbeitungsbetrieb Villgrater Natur führt die Tradition in neuem Gewand fort 

Unentbehrliche Geräte für die Flachsverarbeitung waren die im Zitat erwähnten Museumsartefakte Brechel, Riffel und Hachel – um nämlich die Rindenschicht aufzubrechen und die feinsten Bastfasern (Harbe) gewinnen zu können. Bis schließlich ein einfacher Faden (Spinnrad) und dann die gewobene Leinwand daraus wurden, war viel Ausdauer und präzise Handarbeit notwendig. Indem die Hausweberei – selbst Leinwebermeister sind für das Dorf belegbar – obsolet wurde, verschwand auch ein kulturlandschaftliches Merkmal in der Talschaft: Lein oder Flachs als Nutzpflanze.
 
Text Dr. Andreas Rauchegger